Solvin Zankl, geboren 1971, ist studierter Biologe und seit 1998 hauptberuflich als Naturfotograf tätig. In seine Fotoreportagen lässt er seinen wissenschaftlichen Hintergrund und seinen Sinn für Ästhetik einfließen. Seine Arbeiten sind international mehrfach ausgezeichnet worden, beim 'deutschen preis für wissenschaftsfotografie 2008' erhielt seine Reportage über die Artenvielfalt den 1. Preis. Seine Fotografien erscheinen weltweit regelmäßig in führenden Zeitschriften und Magazinen, wie Geo, National Geographic Magazine, Natural History Magazine und BBC Wildlife. Es ist typisch für Solvin Zankl, dass er sich für die Dokumentation von Tieren und Natur viel Zeit vor Ort nimmt, um das Verhalten der Tiere verstehen zu lernen und die Umgebung auf sich wirken zu lassen. Er verbrachte Monate zwischen Pinguinen auf den subantarktischen Inseln oder unter dem Regenwalddach am Amazonas. Die Arbeiten von Solvin Zankl werden geschätzt, da er es schafft, seinen Motiven durch ausdrucksstarke Perspektiven auch eine emotionale Ebene zugeben, die dem Betrachter das Gefühl eines Erlebnisses vermittelt.
www.solvinzankl.comLeben und Sterben nah beieinander
Die Rabengeier sind gesellige Aasfresser und Raubvögel. In großen Gruppen sind sie am Strand vonOstional an der Pazifikküste Costa Ricas unterwegs. Dort lauern sie auf schlüpfendeMeeresschildkröten oder machen sich beiGelegenheit über ein halb verwestes, angespültes Tier her. Inweniger als einer halben Stunde wurde diese Oliv-Bastardschildkröte von den kräftigen Vögeln komplett skelettiert.
Unterwasserflug der Meeresschildkröte
Oliv-Bastardschildkröten sind wie alle Meeresschildkrötenarten perfekt an das Leben im Ozean angepasst.Mithilfe der großen Vorderflossen „fliegen“ diese Tiere durch das Wasser und können dann mit Leichtigkeitjeden Taucher hinter sich lassen. Einst an Land geschlüpftund sofort in das Meer gekrabbelt, bleibenMeeresschildkröten für immer in ihrem nassen Element –bis auf die kurzen Momente der Eiablage, aufdie sich dieses erwachsene Weibchen im küstennahen Pazifik gerade vorbereitet.
Fressbar?
Schwimmende Oliv-Bastardschildkröten sind nicht sehr scheu und nähern sich neugierig ihnenunbekannten Objekten. Sie haben ein breitesBeutespektrum aus Fischen, Schnecken, Muscheln undPlanktonorganismen und sind daher wohl in Bezug auf Nahrung durchaus experimentierfreudig.Fatalerweise führt dies dazu, dass sie oftgroße Mengen an treibendem Plastikmüll oder auch Angelködermit Haken verschlucken und häufig daran elend zu Grunde gehen. Diese Schildkröte hatte nichts wirklichFressbares vor Augen, möglicherweise sah die gewölbte Frontscheibe desUnterwassergehäuses einerQualle ähnlich.
Sie kommen!
Zu den Besonderheiten der Oliv-Bastardschildkröten gehört ihre Eigenart, in unvorstellbar großen Gruppenzu nisten. Wenn eine sogenannte "Arribada" (spanisch für "Ankunftvon See") der Oliv-Bastardschildkrötenin vollem Gange ist, kommen etwa sieben Nächte in Folge insgesamt bis zu mehrere HunderttausendWeibchen zur Eiablage an den Strand von Ostional. Das Spektakel setzt sich bis in die Morgenstunden fortund kann sich in Abständen von ca. 28 Tagen, also einem Mond-Monat, im Zeitraum von April bisDezember wiederholen. Allerdings gibt es durchaus auch ausfallende Arribadas, Unregelmäßigkeiten oderVerschiebungen von einem Niststrand zu einem anderen über die Jahre und Jahrzehnte.
Mission Fortpflanzung
Innerhalb der Woche einer Arribada verwandelt sich der Strand von einer normalen Sandfläche in einGelände, das wie von Traktorspuren zerfurcht aussieht. Zum Schluss werden überall verstreut auf derOberfläche Meeresschildkröteneier und deren Schalen zu sehen sein, denn die später nistenden Weibchenzerstören beim Graben ihrer eigenen Nester oftdie Gelege ihrer Vorgängerinnen. Diese Verluste sind abermit einkalkuliert bei der Strategie des Massen-Nistens, das nur von der Oliv-Bastardschildkröte und ihrerAtlantischen Schwesternart, der Atlantik-Bastardschildkröte durchgeführt wird. Der Vorteil, dass Fraßfeindeder Eier und Jungtiere durch das extreme Überangebot abgespeist werden, überwiegt unter natürlichenBedingungen den Nachteil des Platzmangels.
Der Landgang
Am Strand von Ostional kommen das gesamte Jahr über einzelneMeeresschildkröten unterschiedlicherArten zur Eiablage an Land. In den Monaten April bis Dezember kann aber die AnkunfteinerOliv-Bastardschildkröte im frühen Morgengrauen derBeginn einer monatlich sich wiederholendenMassen-Eiablage von Hunderttausenden Weibchen dieser Art sein. Die unter Wasser so eleganten, fastschwerelosen Schwimmer haben an Land sichtlich Mühe, sich voran zu schleppen. Beim Hinaufkriechenprüftdie Schildkröte immer wieder den Sand mit der Schnabelspitze. Nur im trockenen, warmen Sandoberhalb der höchsten Hochwasserlinie werden ihre Eier eine Überlebenschance haben.
Urzeitlicher Strandbesucher
Diese Oliv-Bastardschildkröteist in den sonnigen Morgenstunden an den Strand gekrochen, um ihre Eierabzulegen. Während andere Meeresschildkrötenartenausschließlichwährend der Nacht an Land kommen,ist diese recht kleine Art dafürbekannt, auch im Hellen zu nisten. Durch ihre geringere Körpermasseundden kräftigen Wind läuftsie nicht so schnell Gefahr, an Überhitzung zu sterben.
Eier am laufenden Band
Hat eine Oliv-Bastardschildkröteeinen geeigneten Platz gefunden, gräbt sie mit ihren Hinterflossen eindreißig bis fünfzig Zentimeter tiefes Loch. Etwa hundert weichschalige Eier werden in das Nest gelegt, das anschließend sorgfältig verschlossen wird. Als weltweit einzigem Ort ist es dabei in Ostional denEinheimischen erlaubt, die Nester der Meeresschildkrötenzu Beginn einer Arribada aufzugraben und dieEier fürden Verkauf und den eigenen Verzehr zu entnehmen. Dieses unter Auflagen legalisierte Eiersammeln soll unkontrollierten Eierraub verhindern. Ein Nebeneffekt ist die Möglichkeit, unmittelbar vor dem Einsammeln des Geleges die fallenden Eier am geöffneten Nest zu fotografieren, was ansonsten selbstverständlich strikt verboten ist.
Regen im Schlaraffenland
Zwei Rabengeier, links ein Jungtier mit schwarzem Kopf, rechts ein Alttier mit der typisch grauen,runzeligen Haut, lassen sich durch einen Regenschauer nicht von ihrem Aussichtspunkt am Strand vonOstional vertreiben. Sobald wieder junge Meeresschildkrötenauf der Sandoberfläche erscheinen, werdensie ihre nächste Mahlzeit einnehmen.
Leichte Beute
Die weitaus meisten Oliv-Bastardschildkröten schlüpfen im Schutz der Nacht. Ein Teil derer, die beiTageslicht noch auf dem Sand unterwegs sind, fällt den Rabengeiern zum Opfer. Da der Schlund der Geierfür den Panzer ihrer Beute zu eng ist, müssen sie versuchen, die Schildkröten mit ihren Krallen festzuhaltenund mit dem Schnabel zu zerreißen. Oftfressen sie dabei nur den Kopf oder einzelne Flossen, bevor sie einpaar Schritte weiter ihr nächstes Opfer aufpicken.
Glück im Unglück
Diese beiden schlüpfenden Oliv-Bastardschildkröten sollten eigentlich noch vierzig Zentimeter unter derSandoberfläche inmitten ihrer Geschwister in Sicherheit sein. Stattdessen wurden sie von streunendenHaushunden ausgegraben, die ein Nest in dieser Phase wohl am Geruch erkennen. Offenbar ist für einenHund eine fertige junge Schildkröte ein attraktiverer Leckerbissen als ein frisches oder angebrütetesSchildkrötenei. Aber auch ein Hund ist irgendwann satt. Von ihm achtlos liegengelassen,müssen sich diezwei Jungtiere als nächstes vor den Rabengeiern hüten.
Frische Luft
Eine junge Oliv-Bastardschildkröte erblickt als Erste ihres Nestes das Tageslicht. Äußerlich kann man nichterkennen, ob es sich um ein Männchen handelt, das gleich für den Rest seines Lebens ins Meer krabbelnwird, oder ob es ein Weibchen ist, das in vielen Jahren zur Eiablage an denselben Strand kommen wird.Wie bei vielen Reptilien entscheidet die Bruttemperatur während der Entwicklung darüber, ob einMännchen oder ein Weibchen heranwächst. Das Geschlechterverhältnis in einerSchildkrötenpopulationwirddaher von der Temperaturverteilung innerhalb eines Nestes und durch die Unterschiede zwischenden verschiedenen Gelegen gebildet.
Run, Baby, run!
Nach einer Brutdauer von knapp zwei Monaten im warmen Sand schlüpfen die jungen Schildkröten einesGelegesfast gleichzeitig. Eine gemeinsame Kraftanstrengung ist nötig, um den mehrtägigen Aufstieg durchdie mindestens dreißig Zentimeter dicke Sandschicht über ihnen zu meistern. Einmal an der Oberflächeangekommen,machen sie sich unverzüglich auf den gefährlichen Weg zum Wasser –die große Gruppe erhöhtdabei die Chancen des Einzelnen. Die Helligkeit des Horizonts über dem Meer gibt zuverlässig die Richtung an,falls nicht menschliche Lichter auf der Landseite das uralte Orientierungssystem durcheinanderbringen.
Die perfekte Welle
Die junge Oliv-Bastardschildkröte hat es trotz der lauernden Geier, Waldstörche, Hunde und Krabben bis zumSpülsaum geschafft. Doch auch im Wasser lauern Gefahren: Raubfische von unten und Fregattvögel vonoben. Man schätzt, dass nur eine von tausend jungen Meeresschildkrötendas Erwachsenenalter erreicht.
In ihrem Element
Sobald sie nicht mehr den festen Sand unter den Flossen spüren,schalten die kleinen Meeresschildkrötenvom Krabbeln auf die synchronen „Flügelschläge“ ihrer aquatischen Fortbewegungsweise um. Sehrenergisch und unerwartet schnell durchqueren sie die Brandungszone. Dabeischwimmen sie meist unterder Wasseroberfläche und tauchen nur ab und zu mit weit hochgerecktem Kopf zum Atmen auf.
Viel Glück
Ihre Kraftreserven aus dem manchmal noch sichtbaren Dotterrest werden den jungen Meeresschildkrötennun helfen, einen ganzen Tag lang fast ununterbrochen zu schwimmen. Als Orientierungshilfe dient dabeidie Wellenrichtung, gegen die sich die kräftigen Winzlinge stemmen, um die Küste hinter sich zu lassen. Fürmännliche Tiere ist es ein Abschied für immer, die Weibchen werden mit viel Glück nach fünfzehn bisdreißig Jahren mit etwa hundert befruchteten Eiern im Bauch wieder an diese Stelle zurückkehren.