von Sabine Riewenherm
Natur und ihre Vielfalt faszinieren. Ihr Abbild in der Fotografie tut es ihr gleich. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob Fotografie dokumentiert oder als Kunstform wirkt. Die vielen Facetten von Natur und Naturfotografie führt uns der diesjährige Wettbewerb Europäischer Naturfotograf des Jahreseindrucksvoll vor Augen. Mit ihren Bildern schärfen Fotografinnen und Fotografen unseren Blick: Sie bringen uns die Schönheit gefährdeter Arten wie die der Flusspferde näher, aber auch den Lebensraum des weit verbreiteten Graureihers. Wir meinen vielleicht, diese Art schon längst zu kennen, haben sie aber noch nie so gesehen, wie sie unsder Gewinner des Fritz Pölking Preises, Jan Leßmann, zeigt. Diese Fotografien wirken auch ohne erklärende Worte, sie lassen Raum für einen ganz persönlichen Zugang zur abgebildeten Natur und sind deshalb auch für die Naturschutz-Kommunikation von besonderem Wert. Denn im besten Fall wecken Naturfotografien nicht nur das Interesse an den gezeigten Arten und ihren Lebensräumen, sondern auch an deren Schutz.
Was die Fotografinnen und Fotografen eint, ist ihr fotografisches Geschick und Können, aber auch ein tolles Gespür für ganz besondere Augenblicke –ganz gleich, ob vor unserer Haustüre in Deutschland, in Rumänien oder in Südafrika.
In Südafrika entstanden ist das Siegerbild Hippo-Welt von Mike Korostelev aus Russland: Die Tiere und ihr Lebensraum verschwimmen im wahrsten Sinne des Wortes zu einer Einheit! Die bis 3,5 Meter großen und bis zu drei Tonnen schweren Tiere wirken leicht, fast schwerelos. Ihr aufgeweckter Blick lässt erahnen: Sie haben sich auf die Kamera eingestellt, sie ist nichts, was ihnen akut gefährlich werden könnte. Ganz anders als die Bedrohungen, denen Flusspferde tagtäglich ausgesetzt sind: Ihr Lebensraum schwindet. Sie werden wegen ihres Fleisches verfolgt, ihre Zähne häufig als Ersatz für Elefanten-Elfenbein gehandelt. So verwundert es nicht, dass die Weltnaturschutzorganisation International Union for Conservation of Nature (IUCN) ihren Bestand bei insgesamt ca. 125.000 bis 147.000 Tieren weltweit als gefährdet einstuft. Umso mehr setzt die Auszeichnung von Mike Korostelev ein Zeichen – für ästhetische Bilder und einen sensiblen Umgang mit der Natur, nicht nur mit gefährdeten Arten – in der Welt, in Europa, vor der eigenen Haustür.
Vor der eigenen Haustür war der Sieger des diesjährigen Fritz Pölking-Preises äußert erfolgreich unterwegs: Jan Leßmann begab sich für seine Serie Lockdown Heron in Greifswald auf die Spuren eines Graureihers – lichtete ihn bei seinen Streifzügen ab, bei der Lauer auf Beute und im Flug, detailreich und als kleiner Teil großer städtischer Kulisse. Zu Recht war sich die Jury einig: Der Facettenreichtum und der Mut zu neuen Perspektiven machen die Geschichten über einen alltäglichen Vogel so besonders und preiswürdig.
Spannend und komplex zugleich ist die Geschichte, die die beiden Gewinner des Fritz Pölking Jugendpreises erzählen: Sie handelt von Braunbären in Rumänien, von Konflikten, die aus dem schwindenden Lebensraum resultieren, aber auch von Respekt und Verehrung dieses Tieres, das wir heute ganz bewusst als großen Beutegreifer und nicht (mehr) als Raubtier bezeichnen! Die klare Bildsprache der beiden jungen niederländischen Fotografen David Hup und Michiel van Noppen ist es, die ihre Reportage nicht nur aus Sicht der Jury auszeichnet.
Bemerkenswert sind aber nicht nur die preisgekrönten Bilder! Mindestens genauso bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich am diesjährigen Wettbewerb 935 Fotografinnen und Fotografen mit knapp 18.000 Bildern beteiligt haben – ein Beleg dafür, welchen großen Stellenwert Naturfotografie mittlerweile hat, aber auch dafür, dass die Leitlinien der GDT Anerkennung finden, die nicht nur eine zeitgemäße und kreative Auseinandersetzung mit Naturfotografie fordern und auch fördern, sondern zugleich für die Verletzlichkeit von und den Respekt für die Schöpfung sensibilisieren und zu einem sorgsamen Umgang aufrufen. Und genau das ist etwas, was uns verbindet – das Bundesamt für Naturschutz, die GDT und all die Fotografinnen und Fotografen, die sich an diesem Wettbewerb beteiligt haben.
Sabine Riewenherm
Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz
Schirmherrin des Wettbewerbs
von Felix Heintzenberg
Am 8. Mai dieses Jahres reisten Alessandra Meniconzi, Jan Magnus Reneflot, Markus Varesvuo und ich aus der Schweiz, Norwegen, Finnland und Schweden in die historische Stadt Potsdam in der Nähe von Berlin. Im Gepäck hatten wir ausnahmsweise einmal keine Kameras, sondern unsere individuellen Erfahrungen aus jahrzehntelanger intensiver Arbeit auf dem weiten Feld der Naturfotografie. Zu diesem Zeitpunkt ahnten wir noch nicht, dass sich unsere physische Reise bald zu einer metaphysischen und emotionalen Reise in die kreativen Ideen und Köpfe tausender Fotografen entwickeln würde, während wir ihre Bilder und Beiträge zum Wettbewerb Europäischer Naturfotograf des Jahres 2022 bewerten sollten.
Nur wenige Monate zuvor waren wir von der GDT als Jurymitglieder ausgewählt worden, und unsere anspruchsvolle Aufgabe bestand nun darin, drei Tage voller Diskussionen zu verbringen, um die diesjährigen Gewinnerfotos zu bestimmen -eine Aufgabe, die viel schwieriger ist, als es sich anhören mag.
In den Wochen zuvor hattejeder von uns zu Hause Tausende von Fotos gesichtet und vorjuriert. Unsere Aufgabe in Potsdam bestand nun nicht nur darin, diese Tausenden von Bildern auf etwa einhundert zu reduzieren, sondern auch darin, die ersten und zweiten Plätze für jede der acht Kategorien des Wettbewerbs sowie den prestigeträchtigen Gesamtsieger zu ermitteln. Vor Ort trafen wir uns mit unserem fünften Jurymitglied Sandra Bartocha und dem Wettbewerbsleiter Marc Hesse, und unsere Arbeit konnte beginnen.
Schon zu Beginn der Jurierung war klar, dass die Qualität der Einsendungen zum diesjährigen Wettbewerb außergewöhnlich hoch war. Die Vielfalt der Stile, Themen und fotografischen Ideen war inspirierend, ebenso wie die technische Qualität. Schnell wurde auch deutlich, dass die Beurteilung der Einsendungen ein sehr dynamischer Prozess ist, mit vielen überraschenden Wendungen. Für mich hat Fotografie viel mit Leben und Liebe zu tun. Mit unseren Bildern versuchen wir, die Schönheit des Lebendigen zu würdigen, und wir alle haben eine Beziehung zu unseren eigenen Bildern – manche lieben wir, andere mögen wir weniger. Doch das Leben ist zerbrechlich, und Beziehungen ändern sich mit der Zeit, sogar die zu unseren eigenen Bildern: Kurz, das Verhältnis zu unserer Arbeit ist nicht in Stein gemeißelt. Und obwohl wir uns anfangs über die große Mehrheit der Fotos einig waren, war es interessant zu sehen, wie sich einige Bilder, wie das Leben selbst, weiterentwickelten. Manche wurden schöner, je mehr wir uns über sie austauschten, und andere fielen ab. Wir hatten unsere eigenen Lernkurven, denn einige unserer Lieblingsbilder wurden durch Fotos ersetzt, die uns ursprünglich gar nicht gefallen hatten – ein Prozess, den ich aus meiner eigenen Fotografie nur zu gut kenne. Eine der wichtigsten Voraussetzungen war vielleicht, dass wir als Jury sehr gut miteinander auskamen. Jeder von uns hat den anderen mehr zugehört als selbst gesprochen, und wir haben weniger unsere eigenen Ansichten verteidigt, als vielmehr versucht, die Gedanken der anderen zu verstehen.
Eine der vielen Herausforderungen unserer Aufgabe bestand darin, dass wir nur das Endergebnis der Arbeit eines Fotografen sahen, die unverhüllte Oberfläche einer komplexen Denkweise, einer Arbeit, die Jahre oder nur den Bruchteil einer Sekunde gedauert haben kann. An diesem Punkt begann sich unsere emotionale Reise in die Gedankenwelt der Fotografen zu vertiefen. Indem wir die begleitenden Bildbeschreibungen überprüften, versuchten wir, mehr über die Arbeit hinter einem Bild zu erfahren, während wir versuchten, die Gedanken der Fotografen hinter einem Foto zu verstehen. Dabei wurde einmal mehr deutlich, dass der erste Blick täuschen kann und dass fotografische Schönheit und Aussagekomplexe Konzepte mit vielen Schichten und Blickwinkeln sind.
In den letzten Jahren und vor allem mit dem Beginn des digitalen Zeitalters vor etwa zwei Jahrzehnten hat eine hochentwickelte Technik Einzug in die Naturfotografie gehalten. Leistungsstarke Kameras, die kleinste Bruchteile von Licht einfangen und ehemals unmöglichzu fotografierende Situationen in großartige fotografische Gelegenheiten verwandeln können, sind heute unter Fotografen weit verbreitet. Doch mit großer Macht geht auch große Verantwortung einher, vor allem, wenn es um die ethischenAspekte unserer Arbeit geht. Von Zeit zu Zeit wurden wir mit Fragen zur Ethik hinter den Bildern konfrontiert. Dies führte uns zu Diskussionen über den Einsatz von Drohnen in der Tierfotografie, über die Verwendung künstlicher Elemente in Bildern, über die Ethik „arrangierter“ Bilder, bei denen Tiere in Szene gesetzt wurden, und vieles mehr. Einmal mehr wurde deutlich, dass die Fragen zum Leben komplex sind und dass es auf die meisten keine einfachen Antworten gibt. Wichtig ist jedoch, sich vor Augen zu halten, dass wir alle Botschafter der Natur sind und dass wir die Verantwortung haben, die Umwelt, die wir fotografieren, zu schützen und zu respektieren. Nur wenn wir ethisch handeln, kann unsere Botschaft überzeugen und uns helfen, andere Menschen für den Umweltschutz zu gewinnen und ein größeres Umweltbewusstsein fördern. Heute, in Zeiten, in denen der Druck auf die Natur riesig ist, in denen der Klimawandel, der Verlust von Lebensräumen und die rasant abnehmende biologische Vielfalt zu den drängendsten ökologischen Problemen auf globaler Ebene gehören, ist es mehr denn je notwendig, die Ethik zu einem festen Fundament der Naturfotografie zu machen.
Trotz unserer Übereinstimmungen und Meinungsverschiedenheiten waren es vor allem unsere recht unterschiedlichen fotografischen Hintergründe, die in unseren Diskussionen zu den endgültigen Entscheidungen führten, manchmal nach einem langen und kurvenreichen Weg. Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass die Jurierung eines Wettbewerbs keine Mathematik ist, bei der es ein klares Richtig und Falsch gibt, aber ich bin zuversichtlich, dass wir bei unserer Suche nach Bildern, die nicht nur Elemente der Natur zeigen, sondern auch die Elemente Originalität, Überraschung und Emotion beinhalten, faire und gut begründete Entscheidungen getroffen haben. Das diesjährige Siegerbild der Flusspferde von Mike Korostelev ist ein solches Foto. Es vermittelt etwas, das wir noch nie zuvor gesehen haben, sowie Präsenz, Interaktion und Dramatik, und viele andere ausgezeichnete Bilder tun dies ebenfalls. Herzlichen Glückwunsch an alle Gewinner!
Im Namen der Jury,
Felix Heintzenberg
Mit Stolz präsentiert die GDT in jedem Jahr anlässlich der Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung beim Internationalen Naturfotofestival in Lünen einen hochwertigen Katalog. In diesem Jahr zeigt er auf 156 Seiten die prämierten Aufnahmen von 75 Fotografen aus über 35 europäischen Ländern. Die fantastischen Bilder sollen nicht nur Beispiel sein für die außergewöhnliche Qualität europäischer Naturfotografie; sie sollen darüber hinaus für den Erhalt von Arten und Lebensräumen werben und dazu anregen, Natur neu zu entdecken und sich respektvoll mit allen Sinnen auf sie einzulassen.
Preis: 22,00 € zzgl. Versand
Zu bestellen beim Tecklenborg-Verlag.