Kommentar der Jury
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von Theo Bosboom Was für eine Freude und auch Ehre, als Mitglied der Jury zum Wettbewerb „GDT Europäischer Naturfotograf des Jahres 2016“ berufen zu werden! Eine Ehre, weil dieser Wettbewerb einer der bedeutendsten der Welt ist, was aus meiner Sicht daraus resultiert, dass er immer wieder derjenige mit den spannendsten Resultaten ist, und mit einer langen Tradition innovativer und kreativer Naturfotografie aufwarten kann. Und eine Ehre auch deshalb, weil meine Jury-Kollegen – Alex Mustard, Peter Cairns, Cornelius Nelo und Guillaume Billy – allesamt erfahrene und renommierte Fotografen sind, deren Werdegang ich schon seit vielen Jahren verfolge. Eine Freude war es, weil es unglaublich inspirierend ist, so viele gute Naturbilder zu sehen – die Qualität der Einsendungen scheint sich von Jahr zu Jahr immer noch zu steigern. Aber das Beste an diesem langen Wochenende war die Art und Weise, wie unsere Zusammenarbeit als Juroren funktionierte.
Obwohl unsere Gruppe auf den ersten Blick nicht sehr abwechslungsreich wirkte – fünf männliche Fotografen, alle aus den nördlichen Ländern Europas – waren unsere fotografischen Geschmäcker und Ansichten doch erfreulich verschieden. Jeder von uns hatte seine Favoriten, die er unbedingt in der Endauswahl sehen wollte. Aber zugleich hörte sich jeder bereitwillig die leidenschaftlichen und überzeugenden Argumente der anderen an. Es war gelebte Demokratie, die zum endgültigen Ergebnis führte. Immer standen Idealismus und Überzeugungskraft im Vordergrund, niemals der Wille, sich um seiner selbst Willen durchzusetzen. Trotz aller Diskussionen waren wir uns völlig einig, was die Wahl des Gesamtsiegers betraf, und auch über die Qualität der finalen Auswahl herrschte größtmögliche Einigkeit.
Rund 18.000 Bilder wurden in diesem Jahr eingesandt, ein neuer Rekord, der die Bedeutung des Wettbewerbs unterstreicht. Doch was macht ein Bild aus, das es bei solcher Konkurrenz über alle Stadien der Jurierung hinweg bis unter die letzten 81 schafft? Die bei solchen Einsendungszahlen unbedingt notwendige Vorjury wurde in diesem Jahr von uns Jury-Mitgliedern durchgeführt, zuhause am eigenen Rechner, ohne dass die Meinung anderer eine Rolle spielte. Effizienz ist in diesem Falle unbedingt notwendig, wenn es darum geht, innerhalb weniger Sekunden per Knopfdruck darüber zu entscheiden, ob ein Bild weiterkommt oder nicht. Das mag zunächst unfair erscheinen gegenüber den teilnehmenden Fotografen, die ihre Bilder mit viel Liebe gemacht und mit großem Aufwand eingesandt haben, aber wenn es letztlich um die Frage geht, ob ein Bild im Vergleich zu anderen das Potential zum Siegerbild hat, findet man die herausragenden Arbeiten recht schnell. Wir wurden im Vorfeld angehalten, in dieser ersten Runde sehr großzügig zu sein, und uns im Zweifel eher für als gegen ein Bild zu entscheiden, woran wir uns auch gerne gehalten haben. Und da wir Jurymitglieder alle selbst regelmäßig an Fotowettbewerben teilnehmen, sei allen Einsendern versichert, dass wir uns der Verantwortung unserer Entscheidungen immer bewusst waren.
Die zweite Phase der Jurierung fand dann für die Dauer von drei Tagen in Potsdam statt. Zu diesem Zeitpunkt waren noch Tausende von Bildern im Rennen, alle von hoher Qualität und technisch überwiegend einwandfrei. Jetzt galt es, Originalität und besondere fotografische Herangehensweisen zu beurteilen. Als Mitglied der Jury ist es dann schön, überrascht zu werden, und wenn ein Motiv erscheint, das man so noch nicht gesehen hat, ist man eher bereit, dafür zu stimmen. Nun ist es ja so, dass Naturfotografen bestimmte Tierarten oder Landschaften bevorzugt bearbeiten und dabei – bewusst oder unbewusst – zu Nachahmern von bereits Gesehenem werden. Nicht unbedingt der beste Weg, um erfolgreich zu sein, obwohl es jedes Jahr Aufnahmen von ikonischen Landschaften oder Tieren ins Finale schaffen, etwa wenn sie eine neue Seite eines Motivs beleuchten oder wenn es der Fotograf geschafft hat, das qualitative Level seiner Vorgänger zu überbieten.
Als die finale Phase der Jurierung erreicht war, wurden alle verbleibenden Bilder in der RAW-Kontrolle auf digitale Manipulation hin untersucht, wobei wir auch andere Formen möglicher Beeinflussung, etwa beim Verhalten von Tieren, intensiv diskutierten. Leider ergab diese Kontrolle, dass viele vermeintlich herausragende Bilder nicht mit den Regeln dieses Wettbewerbs vereinbar waren, was insbesondere in den Fällen ärgerlich war, in denen das unmanipulierte Bild sogar besser gewesen wäre als die Fälschung. Wie bereits zuvor erwähnt, war sich die Jury von Anfang an einig, was die Wahl des Gesamtsiegers anbelangte. Es ist ein außergewöhnliches Bild, das unsere Aufmerksamkeit vom ersten Augenblick an erregte. Man könnte sagen, ein Bild, das alles in sich vereint: eine großartige Stimmung, eine charismatische Tierart und das perfekte Gefühl für den richtigen Moment. Darüber hinaus ist es innovativ, gibt es uns doch einen neuartigen Einblick in das Leben der Schwertwale während der eisigen Polarnacht, und es entstand unter extrem schwierigen Bedingungen durch den gezielten Einsatz von künstlichem Licht bei Ausnutzung aller Möglichkeiten, die ein modernes Kamerasystem zu bieten hat. Diese seltene Kombination positiver Faktoren machte es für uns als Jury absolut unwiderstehlich, und so wurde Audun Rikardsen aus Norwegen mit seinem Bild „Ein Atemzug in der Polarnacht“ zum Gesamtsieger des Wettbewerbs
Europäischer Naturfotograf 2016.
Im Namen der Jury,
Theo Bosboom