Stephan Amm gewinnt mit einem Portfolio über gefrorenes Wasser mit seinen vielfältigen Erscheinungsformen den Fritz Pölking Preis 2019. Den Fritz Pölking Jugendpreis konnte Thomas Hempelmann mit seinem fotografischen Projekt Weniger ist mehr für sich entscheiden. Damit kommen erstmalig beide Preisträger aus Deutschland.
Dieser internationale Preis, der seit zwölf Jahren zu Ehren des 2007 verstorbenen Fritz Pölking von der Gesellschaft für Naturfotografie (GDT) gemeinsam mit dem Tecklenborg-Verlag ausgeschrieben wird, wird jährlich für ein herausragendes fotografisches Werk vergeben. Dies kann sowohl ein naturfotografisches Projekt als auch ein Portfolio sein.
Stephan Amm | Projekt: The art of ice
Als Fotograf [...] lernt man Eis schnell als eine Zutat zu schätzen, welche fähig ist, vielen Motiven das gewisse Etwas zu verleihen. mehr...
Thomas Hempelmann | Projekt: Weniger ist mehr
Je reduzierter das Foto, desto mehr konzentriert man sich auf das Wenige, das es zeigt. mehr...
Die Jury, bestehend aus Gisela Pölking, Marion Vollborn, Stephanie Tecklenborg, Willi Rolfes und Radomir Jakubowski, suchte nach etwas Besonderem. Nach einer Arbeit, die aus der Flut an Bildern hervorsticht. Nach ehrlichen und sehr persönlichen Bildern.
Willi Rolfes:
Dieser Preis wird in Erinnerung zu Ehren von Fritz Pölking, dem Gründungs- und Ehrenmitglied der heutigen Gesellschaft für Naturfotografie (GDT) verliehen. Damit wird nicht nur sein zweifelsohne großartiges fotografisches Werk gewürdigt, sondern vielmehr auch sein Bestreben, Menschen für die Natur und die Fotografie zu begeistern. Seine Lehrbücher, seine Workshops, das Verlegen von Zeitschriften und Büchern, sein Blog und seine unzähligen Artikel zielten darauf, Wissen durch Teilen zu vermehren. Wer Fritz Pölking kannte, weiß, dass sein Blick immer in die Zukunft gerichtet war und er mit Unrast stets nach technischen Neuerungen und Verfahren für die Naturfotografie suchte, diese auch selbst entwickelte und publizierte. Doch mehr noch als auf der Suche nach Technik, war er auf der Suche nach dem fotografischen Ausdruck. Die ständige Weiterentwicklung der Bildsprache, die Ausdifferenzierung fotografischer Positionen und die Frage nach der Bedeutung für das Genre der Naturfotografie haben ihn zeitlebens begleitet.
Er suchte den Austausch und hat maßgeblichen und fördernden Einfluss auf den fotografischen Weg vieler junger Kolleginnen und Kollegen gehabt. Dabei war er wahrlich kein Dogmatiker, wie sein berühmtes Zitat zeigt: „Ein guter Naturfotograf zu werden ist nicht schwer, man braucht dazu lediglich: Das handwerkliche Können des Fachfotografen, die kreative Gestaltungskraft des Künstlers, die Neugier des Journalisten, den Jagd- und Beutetrieb eines Jägers, die Besessenheit und Konsequenz des Wissenschaftlers und die Liebe des Naturschützers zu den Geschöpfen."
Fritz Pölking zeigt hier auf, wie vielfältig das Handlungsfeld der Naturfotografie ist, und er lässt erkennen, dass in der Verschiedenheit die Stärke der Naturfotografie liegt. Nur so kann sie den vielfältigen Zwecken, wie der Naturkunde, dem Umweltschutz, der Dokumentation und Interessensvertretung, der Bildung oder der künstlerischen Auseinandersetzung dienen. Diese sind im Übrigen die wesentlichen Satzungszwecke der GDT. Fritz Pölking war schon zu Lebzeiten für viele Inspiration und Ansporn zugleich. Dieser Intention folgt dieser Wettbewerb.
Wenn wir also heute als Jury eines Wettbewerbes im Jahre 2019 nach der Qualität eines fotografischen Portfolios fragen, dann geschieht dies nicht im luftleeren Raum. Wir leben in einer Zeit der Bildflut. Die Qualität ernsthafter Fotografien ist sehr hoch, alle Orte der Welt sind bereist und lassen sich mit Workshops buchen. Allein auf Instagram sind über 40 Milliarden Fotos hochgeladen worden, und es werden täglich 80 Millionen Bilder geteilt. Mit der Anzahl der Bilder wächst ein Müllberg bedeutungsloser Pixel und der Betrachter ermüdet. Ein Freund träumt von einer Ausstellung in einem großen Museum mit nur einem Bild und einer Bank, auf der immer nur eine Person Platz nehmen darf. Andere löschen ihren Social Media Account, weil sie die Aufdringlichkeit und Banalität nicht mehr ertragen.
Einen Hinweis für unsere Beurteilung der Wettbewerbsbeiträge hat uns ein Blick in die Kunstgeschichte gegeben. Als die großen Malschulen der Geschichte dazu beigetragen hatten, dass alle Welt gute Portraits und Stillleben malen konnte und zudem die Fotografie erfunden worden war, da fragte man sich, welche Stellung und Aufgabe denn die Malerei in Zukunft habe.
Dazu gab der große Maler der Romantik, Caspar David Friedrich, folgenden entscheidenden Hinweis: „Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht. Sonst werden seine Bilder den Spanischen Wänden gleichen, hinter denen man nur Kranke und Tote erwartet.“ Dieses Plädoyer verweist uns darauf, „innere Bilder“ zu schaffen. Persönliche Sichtweisen. Eigene Stimmungen. Authentische Fragen. An anderer Stelle spricht Friedrich von „seelenlosen Bildern“. Könnte man die heutige Zeit besser skizzieren?
Aber wie geht das, „innere Bilder“ schaffen? Auch hier gibt uns der Maler einen Hinweis: „Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge siehst dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“
Eine solche persönliche Arbeit ist unverwechselbar, ehrlich und sehr persönlich. Sie hat Bestand im Meer der Bilder, weil sie mehr ist als nur ein Abbild. Eine solche Fotografie hat die Kraft eines Sinnbildes. Nach Bildern dieser Qualität haben wir bei der Jurierung gesucht und sind bei den Bildern von Stephan Amm (Fritz Pölking Preis) und Thomas Hempelmann (Fritz Pölking Nachwuchspreis) fündig geworden. Über solche Bilder sagt der große Romantiker: „Jedes Bild ist mehr oder weniger eine Charakterstudie dessen, der es gemalt.“
Mit vier Stichproben aus den Arbeiten von Stephan Amm und Thomas Hempelmann möchten wir unsere Einschätzung erläutern und begründen.
Die Fotografie First light von Stephan Amm zeigt das Bildmotiv überfrorener Eichenblätter auf dem schattigen Boden an einem winterlichen Morgen. Das gedämpfte, bläuliche Licht lässt die Kälte erahnen. Ein Licht dringt zum Boden durch, der Raureif schwindet an dieser Stelle, und das Blatt zeigt sich in warmen herbstlichen Tönen. So wäre das Bild augenscheinlich gut beschrieben, wäre da nicht die Symbolkraft, die in den Bedeutungspaaren Kälte und Wärme, Blau und Orange sowie Licht und Schatten zu uns spricht. Die Eichenblätter liegen tot am Boden, keine Lebenskraft wohnt ihnen mehr inne. Das dumpfe Licht unterstreicht die morbide Stimmung. Doch ein Lichtstrahl macht den Unterschied. Wohin Wärme und Licht vordringen, ändern sich die Verhältnisse. Das Erstarrte schwindet und ein Blatt leuchtet in würdevollem Licht. Ein erhellender Gedanke, ein gutes Wort, ein mutiger Widerspruch oder eine tröstende Umarmung spenden Licht und ändern das Spiel. Ein ermutigendes Bild. Abbilder werden Sinnbilder!
Die Fotografie Heart von Stephan Amm zeigt das Bildmotiv eines nahezu herzförmigen Eisblocks in einem fließenden Bach. Der Eisblock hat eine raue Oberfläche und scheint für einen Moment Halt gefunden zu haben im Strom des Wassers. Er zeigt sich in hellem, leuchtendem Grau, der Fluss hingegen in dunklen, nahezu bedrohlich wirkenden Tönen. In diesem Bild schwingen jedoch unübersehbar zwei unsichtbare Bedeutungsebenen mit. Ein „Herz aus Eis“ und der „Fluss der Zeit“. Die Fotografie erinnert an die Formel panta rhei oder anders ausgedrückt „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“. Diese Flusslehre Heraklits besagt: Alles fließt und nichts bleibt; es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln. Was lässt ein Herz aus Eis schmelzen? Die Zeit. Abbilder werden Sinnbilder!
Die Fotografie Schattenspiel von Thomas Hempelmann zeigt das Bildmotiv einer Möwe auf einem Geländer sitzend und ihren eigenen Schatten auf einer weißen Fläche dahinter. Doch die Arbeit ist mehr als ein Abbild. Sie bedient sich der Symbolwelt. Der vordere helle Körper des Vogels zeigt die „helle Seite“ und die Silhouette des Kopfes gleichsam die „dunkle Seite“ desselben Vogels. Wie Yin und Yang ergeben sie nur zusammen ein Ganzes. Dieses Bild hat Verweischarakter und erinnert uns daran, dass wir helle und dunkle Seiten in uns tragen und wir nur dann, wenn wir sie beide annehmen und zusammenfügen, eine „ganze“ Persönlichkeit werden. Abbilder werden Sinnbilder!
Die Fotografie Überholspur von Thomas Hempelmann zeigt das Bildmotiv zweier Spuren im Schnee. Die Spur auf der linken Seite stammt offensichtlich von einem Vogel. Schritt für Schritt hat er sich den Raum erschlossen. Daneben, auf der rechten Seite, eine menschliche Spur. Das Reifenprofil lässt vermuten, dass ein Fahrrad parallel zur Spur der Vogels gefahren ist. Auf den ersten Blick begegnen wir einer Fotografie, die eine Alltagssituation auf ihre grafische Dimension reduziert – ein gelungenes Formenspiel. Wenn wir nun aber dem Ratschlag von Casper David Friedrich folgen und unser „leibliches Auge“ schließen, um mit dem „geistigen Auge“ zu schauen, dann begegnet uns zumindest noch eine andere Dimension in dieser Arbeit. Sie löst die Frage aus, wie wir uns Zeit und Raum erschließen. Der Vogel geht, Schritt für Schritt. Der Mensch hingegen hat sich beschleunigt. Er nutzt ein Fahrrad. Die schrittweise Erschließung der Welt weicht einer kontinuierlichen, unentwegt beschleunigten Fortbewegung. Der Mensch auf der „Überholspur“, so der Titel des Bildes. Aus dieser Perspektive betrachtet, wird das Abbild einer Alltagssituation zum Sinnbild für den heutigen Menschen. Es löst Fragen aus nach dem Verhältnis des Menschen zur Natur und nach dem Lebensrhythmus des Menschen. Fragen, die jeden von uns angehen, und auf die wir durch dieses Bild verwiesen werden. Abbilder werden Sinnbilder!
Stephan Amm und Thomas Hempelmann sind würdige Preisträger, da sie uns einladen, im Spiegel ihres Portfolios, Fragen der Zeit und des Lebens nachzugehen. Sie haben den Mut, persönlich zu arbeiten und mit einem Auge nach innen zu schauen. Diese Arbeitsweise hat Kraft und Zukunft.
Fritz Pölking hätte seine Freude daran!
von links: Stefanie Tecklenborg, Willi Rolfes, Marc Hesse, Marion Vollborn, Gisela Pölking, Radomir Jakubowski