Jan Leßmann, geboren 1993 in Bochum, ein kreativer, neugieriger, humorvoller, positiver, emotionaler, impulsiver, vertrauensvoller, einfühlsamer, oft ironischer, liebenswürdiger, visuell geprägter Mensch von der Ostküste Deutschlands geht mit all seinen Sinnen durch die Natur.
Als professioneller Fotograf, Autor und Co – Gründer der Firma zeitweise – schafft er oft abstrakte Bilder, die einzelne Elemente aus dem großen Chaos hervorheben.
Der Wunsch, Fotografien in einen größeren Kontext zu stellen und seine Visionen für eine sich verändernde Gesellschaft zu verwenden, treibt ihn in der Fotografie an. Theoretisches Wissen erlangte er im Studium Landschaftsökologie und Naturschutz, jetzt transportiert er sein Wissen in Bildern und Geschichten, um mit seiner emotionalen Bildsprache zum sozialen und ökologischen Wandel beizutragen.
Es ist still in der Nacht. Soeben hat der Landkreis Greifswald die Inzidenzmarke von 200 überschritten. Menschenleere Straßen, eine 15-Kilometer-Entfernungsbegrenzungs-Regel und eine Ausgangsperre bestimmen den Alltag. Eine unheimliche Schwere liegt über der Stadt. In der Nacht hat es geschneit, und die Straßen bleiben mit Schnee bedeckt. Mein Arbeitsumfeld ist so still wie nie zuvor. Ich begebe mich nach draußen und hinterlasse die ersten Fußspuren im frischen Weiß. Die Schwärze der Nacht verschluckt die Schneeflocken am Horizont und bricht sich im gelben Schein der Straßenlaternen. Nur fünfzig Meter entfernt von meiner Wohnung sitzt mein nächtlicher Freund auf einer kleinen Treppe am Hafenufer. Sonst unentdeckt, schaut er mich mit großen Augen an, erkennt mich, und stößt im nächsten Augenblick seinen Schnabel ins Wasser. Ein Graureiher, der sich an das Leben in der Stadt angepasst hat, fischt unberührt von Pandemien und Beschränkungen im Greifswalder Hafen. Unzählige Nächte besuche ich ihn, lasse mich von der Geduld des Vogels durch die Nacht tragen und verliere dabei das Gefühl für Zeit und Raum. Die Fotografie vor der Haustür hat für mich in diesen Tagen einen hohen Stellenwert. Die Unmöglichkeit zu reisen führt zur Konzentration auf die unmittelbare Umgebung und lässt mich vollends in das nächtliche Leben des Reihers eintauchen. Ich fiebere bei jedem Fang erneut mit, weiß, wo der Reiher seine Barsche fängt und wo sich seine Lieblingsstelle für Weißfische befindet. Immer wieder wetzt er seinen Schnabel an einem alten Tau und wirkt dabei sehr zufrieden. Das Hafenbecken ist voll mit kleinen Fischen, überall wimmelt es vor Rotfedern, Rotaugen und kleinen Barschen, und das Überangebot macht es dem Reiher schwer, sich auf einen Fisch zu konzentrieren.
Mit meiner lautlosen Kamera umrunde ich den Reiher immer wieder, suche nach Straßenlaternen, die den Vogel im dunklen Hafen zum Vorschein bringen. Manchmal ist es nur die Silhouette seines Schnabels, mal höre ich sein lautes Krächzen. Meine Mitbewohner*innen kennen ihn schon seit über 10 Jahren und erzählen von einem Reiher, der auf dem Rückweg von der Kneipe vor der Haustür wartet. So kennt der Reiher wohl unzählige Geschichten aus dem Greifswalder Nachtleben. Er wird sich gewundert haben, warum der Winter 2021 so still war.
Hafenidylle
Bei leichtem Regen sitzt der Reiher an seiner Lieblingsstelle. Gut versteckt wartet er auf vorbeischwimmende Fische. Autos, Passanten und Fahrradfahrer, die über die Brücke fahren, sind ihm vollkommen egal.
Im Himmel
Im Winter sammeln sich die Fische des Flusses im warmen Hafenbecken und bieten dem Reiher ein üppiges Nahrungsangebot – das Eldorado jedes Graureihers. Durch eine Drehung des Bildes werden die Fische zum Himmel, zum Graureiher-Himmel.
Fischfang
Stundenlang bewegt sich der Reiher nicht einen Zentimeter von seiner Sitzwarte. Plötzlich schießt er nach vorne und hat im nächsten Moment einen kleinen Fisch im Schnabel. Mit einer langen Belichtungszeit wurde diese Bewegung visualisiert.
Rotauge
Im Licht der Straßenlaternen hat sich der Reiher auf Rotfedern und Rotaugen spezialisiert. Gar nicht so einfach, die glitschigen Fische im Schnabel zu behalten. Immer wieder gelingt ihnen im letzten Moment die Flucht.
Detail
Erst bei genauerer Betrachtung fallen die wunderschönen Federn des Reihers auf. Stundenlang kümmert er sich nachts um eine ordnungsgemäße Gefiederpflege.
Schneesturm
Erst im Winter findet sich der Reiher im Hafenbecken ein. Wenn die Flüsse zufrieren, bleiben häufig die etwas wärmeren Häfen an einigen Stellen eisfrei. Perfekte Bedingungen für den schlauen Jäger. Mithilfe eines Blitzes wurden die Schneeflocken im Bild eingefangen.
Im Scheinwerferlicht
Bei absoluter Dunkelheit fällt es oft schwer, den Graureiher im Hafen zu finden. Manchmal verraten ihn die vorbeifahrenden Autos mit ihren hellen Scheinwerfern. Für einen kurzen Moment wird der heimliche Star des Hafens ins Licht getaucht.