FRITZ PÖLKING JUGENDPREIS 2021

Sieger: Emile Séchaud – Frankreich

Meine Kindheit verbrachte ich in der Region Haute-Savoie, deren vielfältige Landschaften und insbesondere deren Tierwelt mich schon früh begeisterten. Später ließ ich mich, angezogen von der ungezähmten Natur, in ferne Gebiete entführen, wo die Dimension von Wildnis eine ganz andere ist als in unseren westeuropäischen Gefilden. Wenn ich heute in die Natur gehe, versuche ich, dieses Gefühl von Unermesslichkeit und Einsamkeit so nah wie möglich an meinem Zuhause wiederzufinden.
In einer Gesellschaft, in der die Natur in den Hintergrund getreten zu sein scheint, habe ich in der Fotografie ein ideales Medium gefunden, um wieder zu lernen, mir Zeit zu nehmen. Zeit, um vergessen zu werden, um zuzuhören, zu beobachten oder einfach nur zu staunen. Denn in der Wildnis ist Eile keine Tugend. Man lebt dort im Rhythmus, den uns die Erde auferlegt: den der Tages- und Jahreszeiten, des Wetters, der vielen Unwägbarkeiten. Diese kontemplative Herangehensweise ist Grundlage für meine Bilder, wobei ich geduldiges Abwarten der Interaktion mit meinen Motiven vorziehe. Auf diese Weise strebe ich eine gewisse Authentizität an und kann meinen Einfluss auf die Fauna begrenzen, die bereits hinreichend durch menschliche Aktivitäten gestört wird.
Ich möchte mit meinen Bildern vor allem zeigen, dass die Natur als Ganzes betrachtet werden sollte, als ein perfektes Gleichgewicht, in dem alle Elemente voneinander abhängig sind. Aus diesem Grund bevorzuge ich Fotografien, die dem Tier Raum lassen und wichtige Aspekte seiner Umgebung zeigen. Dieser Ansatz ermöglicht es mir auch zu verdeutlichen, dass die besondere Schönheit der Begegnung mit einem Tier gleichermaßen von der Kreatur selbst als auch von der Umgebung und der Atmosphäre des Augenblicks ausgeht.

Projekt: Im Königreich des Steinbocks

Der Alpensteinbock, das Wahrzeichen der alpinen Fauna, weckt Bewunderung, insbesondere dank seiner Fähigkeit, sich in schwindelerregenden Felswänden zu bewegen und in einer so lebendfeindlichen Umgebung wie dem Hochgebirge zu überleben. Das bedeutet jedoch nicht, dass er in den Herzen der Menschen schon immer eine privilegierte Stellung hatte, denn im 20. Jahrhundert stand er als Folge intensiver Bejagung kurz vor dem Aussterben. Es bedurfte großer Bemühungen bei der Wiederansiedlung in vielen Gebirgsregionen der Alpen, um das Überleben dieser Tiere zu sichern. Dank dieser Bemühungen kann man den König der Berge heute wieder in seinem majestätischen Lebensraum bewundern, und so wollte ich ihn auch in diesem Portfolio zeigen. In den letzten Jahren habe ich zu jeder Jahreszeit verschiedene Bergmassive in den französischen und schweizerischen Alpen besucht, um die Vielfalt der Landschaften und die Lebensbedingungen dieser friedlichen Säugetiere zu zeigen. Die Bilder dieser Serie sollen veranschaulichen, wie die bloße Anwesenheit des Steinbocks die spektakulären Landschaften der Alpen verstärkt und daran erinnern, dass dieses eindrucksvolle Schauspiel vor nur wenigen Jahrzehnten fast verschwunden wäre. Im Schicksal des Steinbocks sehe ich einen Hoffnungsschimmer und ein Vorbild für viele bedrohte Arten, die künftige Generationen zum Träumen bringen können, so wie der Steinbock uns heute in den Alpen zum Träumen bringt.

Emile Sechaud | Am Steilhang | A sheer drop

1. Am Steilhang
Alpine Klippen können gewaltig sein. Ich zeige gerne, wie beeindruckend sie sind, indem ich ein kleines Motiv direkt davor positioniere, und in diesem Fall hat das Steinbockweibchen diese Aufgabe perfekt erfüllt. Außerdem hatte ich das Glück, dass gerade die Sonne hinter dem Tier im Nebel aufging, was der Szene eine besondere Atmosphäre verleiht.

Emile Sechaud | Geometrie | Geometric

2. Geometrie
Steinböcke haben eine markante Silhouette, die sehr fotogen ist. Es gefällt mir, damit kompositorisch zu spielen, wenn ich die Tiere in verschiedenen Positionen fotografiere. Die Stärke dieses Ansatzes ist es, zu zeigen, wie elegant sie sind, ohne störende Details im Bild zu haben.

Emile Sechaud | In der schwarzen Wand | Black wall

3. In der schwarzen Wand
Felsen sind ein essentieller Bestandteil im Lebensraum der Steinböcke. Sie leben entweder auf Granitgestein, Kalkstein oder Schiefer. Schon seit mehreren Jahren hatte ich das Bild eines Steinbocks in einer Steilwand aus Schiefer vor Augen. Und eines Tages beobachtete ich mit viel Beharrlichkeit diesen jungen Steinbock, der fast eine ganze Stunde lang neben mir in diesem steilen Schieferhang kletterte.

Emile Sechaud | Tough conditions | Harte Bedingungen

4. Harte Bedingungen
Schnee und Wind gehören zu den härtesten Elementen, denen Steinböcke das ganze Jahr über ausgesetzt sind. An diesem Tag erlebte ich spektakuläre Bedingungen, bei denen der Schnee überall herumflog und von der Mittagssonne angestrahlt wurde.

Emile Sechaud | Der Ruf der Berge | The call of the mountains

5. Der Ruf der Berge
Während ich einen unglaublichen Sonnenuntergang genoss, sah ich, wie sich ein prächtiges Steinbockmännchen näherte und vor dem atemberaubenden Bergpanorama verharrte. Zwanzig Minuten und zweihundert Fotos später beschloss ich, das Tier an seinem Aussichtspunkt zurückzulassen, während ich mit dem Kopf voller Bilder zu meinem Zelt zurückkehrte.

Emile Sechaud | Der Gipfel |The summit

6. Der Gipfel
Die wechselhafte Witterung macht das Hochgebirge unberechenbar, aber auch geheimnisvoll und anziehend. Wolken und Nebel bedecken die Gipfel auf immer unterschiedliche Weise und machen jede Szene einzigartig. Deshalb ziehe ich es immer vor, bei unsicheren Wetterbedingungen unterwegs zu sein, auch wenn das meistens bedeutet, sehr nass zu werden.

Emile Sechaud | Das Schauspiel | The spectacle

7. Das Schauspiel
An warmen Tagen haben die männlichen Steinböcke die Angewohnheit, sich in kühlere Höhenlagen zurückzuziehen. Dort kann man nicht selten Gruppen von mehr als 100 Tieren beobachten, die die meiste Zeit des Tages äsen, schlafen oder sich in harmlosen Scheinkämpfen gegenüberstehen. In dieser Zeit kann ich stundenlang bei ihnen sitzen, ihre verschiedenen Verhaltensweisen beobachten und einige Bilder machen.

Emile Sechaud | Der Wächter | The guard

8. Der Wächter
Im Dezember ist die Brunftzeit der Steinböcke, sicherlich meine Lieblingszeit des Jahres. Eis und Schnee bedecken zusehends den Boden, dichte Wolken ziehen in niedriger Höhe vorbei und die Tage werden immer kürzer. Trotz einiger Kämpfe war es an diesem Morgen sehr ruhig, und ich hatte das Glück, dieses alte Männchen zu sehen, das die Landschaft betrachtete – eingerahmt von einem klaren blauen Himmel ohne jede Flugzeugspur, etwas, das ich vor dieser Pandemiezeit noch nie gesehen hatte.

Emile Sechaud | Der König | The king

9. Der König
Das Arbeiten mit unterschiedlichen Brennweiten ist Teil meines fotografischen Ansatzes, insbesondere bei Motiven wie dem Steinbock, bei dem lange Brennweiten selten notwendig sind. Ich verwende gerne mittlere Brennweiten wie das 50mm-Objektiv. Es kommt der menschlichen Sehweise sehr nahe und führt daher zu einer realistischen Wiedergabe der Szene.